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Gleichnis 7

Wie ist diese Einheit zu verstehen, von der seit Menschengedenken in verschiedensten Ausdrücken gesprochen wird, im Christentum z.B. als Gott, und welchen Bezug haben wir dazu? Warum treibt uns eine innere Suche immer weiter?


Wir sind Seelenwesen, nur vorübergehend in einem Körper steckend. Unser Urzustand ist die Einheit. Klingt alles furchtbar abstrakt und so gar nicht anwendbar auf unser tägliches Leben - oder doch? Mir ist dazu einmal zwischen Schlaf und Erwachen das Bild vom Ozean eingefallen:

Wir sind vergleichbar mit Wassertropfen in einem blauen, ruhigen Ozean, erwärmt von der Sonne der Liebe. Alle Wassertropfen sind gleich und sie sind alle gleich wichtige Teile des Ozeans, permanent mit ihm verbunden. Letztendlich ist jeder Wassertropfen auch ein Abbild des gesamten Ozeans. Diese Einheit und Gleichheit ist zwar schön, aber auch ein wenig eintönig. Und so wünschen sich ein paar Wassertropfen, anders wie die Einheit zu sein und Erfahrungen außerhalb der Einheit zu machen. Nachdem der Ozean seine Wassertropfen liebt und weiß, dass sie immer Wassertropfen bleiben und irgendwann zu ihm zurückkehren werden, lässt er ihnen ihren freien Willen und sie gehen von der Tiefe an die Oberfläche des Ozeans.

Dort weht ein kräftiger Wind und einige Wassertropfen vereinigen sich zu Wellen. Damit haben sie sich schon eine besondere Identität gegeben und sie fangen an, gegen andere Wellen zu laufen oder sie zu schlucken, um noch größere Wellen zu bilden. Das ist der Beginn der Dualität, das Ende der Einheit. Ab jetzt gibt es Gegensatzpaare: gut oder böse, richtig oder falsch, dafür oder dagegen, links oder rechts, oben oder unten, stärker oder schwächer, männlich oder weiblich.

Aber etlichen Wassertropfen ist die Wellenerfahrung noch zu wenig, sie möchten weiter weg vom Ozean und sich völlig getrennt fühlen von ihm - unabhängig sein! Also verdunsten sie und stellen fest: Wir haben es geschafft, wir sind kein Wasser mehr, wir sind Dampf, unsere Form hat sich geändert, wir sind unabhängig vom Ozean, wir sind unser eigener Herr! Und sie wechseln ihre Form noch öfter, bilden Wolken, regnen herab, verdunsten wieder, bilden Gewitterwolken, kondensieren zu Hagelkörnern, es blitzt und donnert und geht zu wie in Achterbahn und Geisterbahn zugleich. Allerdings wird es den Wassertropfen nun etwas mulmig und sie sehnen sich nach etwas, was sie nur noch ganz dumpf, unbewusst und tief drinnen in Erinnerung haben, weil es schon lange her ist, wo sie es zuletzt erlebt haben: nach Ruhe, Einheit, Frieden und Liebe.

Ganz weit weg und nur noch eine Illusion - zu schön um wahr zu sein - scheint diese Sehnsucht zu sein, als die Wassertropfen als Schneeflocken in der Antarktis landen. Diese Welt ist kalt, es weht ein rauer Wind und man sieht weit und breit nur Schneeflocken. Keine Spur vom blauen, friedlichen Meer und der Sonne der Liebe. Somit wird jede Schneeflocke ausgelacht, die ihrer Sehnsucht Ausdruck verleiht und meint, sie wäre eigentlich ganz anders und Teil eines warmen Ozeans. "Schau Dich an und schau Dich um, bleib mal realistisch! Du schaust ganz anders aus wie ein Wassertropfen, wie willst Du gar ein Teil von irgendeinem unsichtbaren Ozean sein? Deine Sehnsucht ist nur Illusion und Wunschdenken!" bekommt sie von den anderen Schneeflocken zu hören. "Du musst hart und kalt sein, sonst gehst Du hier unter!"

Wenn wir die Äußerungen dieser Schneeflocken in Ruhe betrachten, so erkennen wir: Sie halten für Realität, was Illusion ist, und das, was sie als Illusion ansehen, ist Realität! Und es kommt noch interessanter: Die Sonne der Liebe möchte den Schneeflocken die Möglichkeit geben, aus dieser harten Welt des Leidens in die ihnen angestammte Welt des blauen Ozeans zurück zu kehren. Sie scheint also kräftig und versucht die Schneeflocken zu tauen - der einfachste Weg, die ganze Antarktis in den blauen Ozean zurück zu führen! Was aber machen diejenigen Schneeflocken, die nicht mehr an ihre Identität als Wassertropfen glauben, sie schlicht vergessen haben, weil sie so ganz anders aussehen und schon ewig nicht mehr im Ozean weilten? Sie sehen die Sonne der Liebe als ihren Feind an, der sie vernichten will und kämpfen mit allen Mitteln gegen eine Veränderung ihrer Form.

Dabei verkennen sie, dass sie eigentlich auf dem ganzen Weg, trotz vielem Auf und Ab und vieler Formwechsel, immer das geblieben sind, was sie immer waren - nämlich Wassertropfen und damit Bestandteil des Ozeans. Sie haben sich zu sehr auf die Form und zu wenig auf den Inhalt konzentriert! Und sie haben vergessen, wo sie herkommen und damit nicht mehr erkannt, dass der ganze Weg, die vielen Formänderungen und Ortswechsel, sie letztendlich in einer Kreisbewegung dorthin zurückbringen, wo sie gestartet waren - in den blauen, stillen Ozean, gewärmt von der Sonne der Liebe.

Und wozu das alles? Um Erfahrungen zu machen, die wir selbst uns gewünscht haben. Wir wollten wissen, wie es ist, scheinbar selbständig ohne Ozean außerhalb der Einheit zu sein. Dass wir hinterher bei den Konsequenzen vielleicht rufen "Ja so wild habe ich es nicht gewollt!" steht auf einem anderen Blatt. Da unterscheiden wir uns nicht von Kindern, die auf die heiße Herdplatte langen, weil sie die Erfahrung selbst machen möchten und nicht auf die Warnung der Eltern hören wollen.

Allerdings haben wir als "Erwachsene" die Wahl, wie wir lernen möchten: weiterhin schmerzhaft durch Erfahrung (Versuch und Irrtum) oder leichter und schneller durch Erkenntnis lernen (sich von Lehrern / Coaches / Therapeuten zur Selbsterkenntnis führen lassen und durch bewusste Anwendung erkennen, was wahr ist). Das Lernen durch Erkenntnis erfordert eine gewisse Demut ("Ich weiß, dass meine Wahrnehmung und Erfahrung nichts mit Wahrheit zu tun hat, daher lasse ich mich lehren und führen"). Die Demut wird uns allerdings über die Zeit auch dann beigebracht, wenn wir uns für den ersteren Weg entscheiden. Denn irgendwann haben wir soviel Versuche und Irrtümer hinter uns, dass wir ebenfalls an den Punkt gelangen, an dem wir feststellen, dass Wahrnehmung und Wahrheit zwei verschiedene Dinge sind. Aber egal welchen Weg wir wählen, beide führen ans Ziel.

Und das Ozean-Gleichnis zeigt uns noch zwei weitere, sehr beruhigende Dinge:

Egal, wie viele dramatische Formänderungen und Zyklen wir noch durchlaufen wollen, letztendlich passiert gar nichts. Die Wassertropfen sind und bleiben Wassertropfen und somit Teil des Ozeans, sie werden über kurz oder lang in ihn zurückkehren. Auch dem Ozean passiert rein gar nichts, egal was die Wassertropfen noch an wilden Sachen veranstalten. Aber eines ist auch klar: Der Ozean ist nicht verantwortlich für das, was die Wassertropfen erleben. Sie haben den freien Willen erhalten, zu tun was immer sie möchten. Konsequenzen entstehen nur aus ihren Entscheidungen, der Ozean nimmt sie jederzeit wieder liebevoll auf. Er wird sie aber niemals zu ihrem Glück zwingen, wieder Teil der Einheit zu werden. Der Zeitpunkt hängt von der Entscheidung der Wassertropfen ab. Und das wiederum ist verbunden mit ihrer Bereitschaft, fälschliche Annahmen über sich loszulassen und sich an ihre Quelle zu erinnern. Das führt uns zum zweiten Punkt:

Ein Ausstieg aus dem wilden Karussell jederzeit möglich: Sich schmelzen lassen von der Sonne der Liebe, sich nicht täuschen lassen von äußeren Formen, auf die Suche gehen nach unveränderlichen Inhalten und sich erinnern, wer man wirklich ist und wo man herkommt. Der Weg ist individuell, das Ziel ist universell.


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